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Freitag 10. Juni 2022: Warum Olaf Scholz und die SPD nicht von dem Ziel „Die Ukraine muss gewinnen“ sprechen will – und warum das so gefährlich ist.


von Ralf Voigt

Der Unterschied zwischen „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen“ und „Russland darf nicht gewinnen. Die Ukraine muss bestehen“ scheint sprachlich marginal. Inhaltich ist die Diskrepanz aber deutlich und wird relevant, wenn der Bundeskanzler und die die Bundesregierung anführende Partei sich vehement weigert die 1. Formulierung zu benutzen.

Warum sagt der Bundeskanzler nicht den Satz den so viele führende westliche Staats- und Regierungschefs schon seit Beginn des Krieges in der Ukraine Mantra artig sagen: Die Ukraine muss den Krieg gewinnen“. Dies fragt sich öffentlich nicht nur der Vorsitzende der größten Oppositionspartei im Bundestag während der Generaldebatte, sondern auch viele Menschen.   Stattdessen werden Olaf Scholz, sowie führende Politiker der SPD nicht müde zu formulieren „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen – Die Ukraine muss bestehen bleiben“.  Der Unterschied zwischen beiden Formulierungen ist dabei bedeutend und entlarvt eine ganz unterschiedliche Sichtweise auf den Krieg – und dessen möglichen Ende.

Was bedeuten die unterschiedlichen Sätze denn konkret:

Die Ukraine muss gewinnen: Dies bedeutet dass Russland sich zumindest wieder auf die Grenzen des Minsker Abkommens zurückziehen müsste – wenn nicht gar die komplette Aufgabe der Krim und der quasi annektierten Gebiete der „Volksrepubliken“.

Wann hat Russland gewonnen: Hier muss erstmal geklärt werden, was die Ziele von Russland sind? Die komplette Zerschlagung der Ukraine wie von Putin am Anfang propagiert? „Nur“ die komplette Übernahme der Regionen Donezk und Luhansk und die Etablierung erweiterter Volksrepubliken oder deren Annexion durch Russland?  Dies dann mit einer Landverbindung zu den in der Moldau de facto besetzten Transnistrien?

Unterstellt man hier ersteres als Ziel eröffnet sich ein Szenario für ein mögliches Ende des Krieges. Das ein solches Ergebnis für die angegriffene Ukraine nicht akzeptabel ist, wird dabei ausgeblendet, bzw. darauf gesetzt, dass der Druck auf die Ukraine für einen Waffenstillstand bzw. einen solchen Status quo zu akzeptieren international soweit steigen wird, dass die Ukraine gezwungen ist dieses Vorgehen hinzunehmen. Exsistieren würde die Ukraine ja weiterhin. Nur verkleinert und zwangsweise amputiert.
Wer sich das Verhalten des Bundeskanzlers und der SPD in den vergangenen 3 Monaten anschaut, kann dabei durchaus zum Schluss kommen, dass hier genau ein solches Szenario angestrebt wird. Waffenlieferungen, die nur unter größtem öffentlichen Druck angekündigt und dann verzögert werden. Aussagen, dass man Russland nicht demütigen dürfe gab es häufig genug. Positiv kann man sagen, dass es hier um einen Weg zur Beendigung eines blutigen Krieges geht. Defacto fällt es aber der Ukraine in den Rücken und kündigt den Konsens, dass der Angegriffene selbst entscheiden muss wie, mit welchen Mitteln und wie lang er sich verteidigen möchte. Zumal dies den Angriffskrieg als Erfolg erscheinen lässt, Putin innenpolitisch stärken wird und das gewaltsame Vorgehen belohnt. Und leicht Appetit auf mehr machen könnte.

Wer Vladimir Putin wirklich ernst nimmt und zuhört wird feststellen, dass weder das oben skizzierte Ziel der Zerschlagung der Ukraine noch das kleine Ziel der Einverleibung des Donbas und der Schaffung einer Verbindung der besetzten Gebiete von Moldawien über die Krim bis hin nach Russland sein oberstes Ziel ist. Dies sind Zwischenziele auf dem weiteren gewaltsamen Weg in Richtung eines Großrussland mit einer Einflussphäre wie zu Zeiten der Sowjetunion. Putin setzt darauf, dass der Westen mit seiner Demokratie und seinen Werten einen Krieg mitten in Europa nicht dauerhaft aushalten wird. Aussagen wie „Russland darf nicht gewinnen. Die Ukraine muss bestehen bleiben“ statt „die Ukraine muss gewinnen“ zeigen, dass er damit zumindest bei Teilen der Bundesregierung und beim Bundeskanzler selbst, richtig liegen könnte.

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